trichter

Damoklesdübel

2005
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Damoklesdübel

Video, 2005

Damoklesdübel

Detail, 2005

Überlastungsstudie

2004

- - -

2012

Sammlung

Angst wohnt in der kleinsten Ritze

Es war einmal ein Mann der hatte Angst. Denn Ritzen klafften in den Ecken seines Zimmers und Haarrisse verzweigten sich von dort immer feiner werdend endlos. Neben Fenster und Tür waren die Risse breit. Am Schlimmsten schien ihm aber der unsichere Boden zu sein, auf dem er stand und seine Möbel lasteten, denn der Boden besaß rundherum einen deutlichen Riß zur Mauer, beinahe schon eine Kluft.
Es war nun geradezu seltsam, daß es gerade der Widerwille war, der ihn täglich in das Zimmer trieb, wenn auch mit aller Vorsicht. Das kam daher, daß er sich zugleich vor Ungeziefer sehr fürchtete. Seine Frau musste alle Bilder, auf denen Insekten und wimmelnde Kleintiere zu sehen waren, aus seiner Morgenzeitungen heraus schneiden, bevor er sie las. Sogar deren bloße Erwähnung in den Berichten musste sie entfernen. Verständlich also, daß er Riesenangst davor hatte, Ungeziefer könnte in den unzähligen Ritzen des Zimmers siedeln.
Eines Tages nahm der Mann seinen Mut zusammen, kaufte Spachtelmasse und begann die Risse und Ritzen zu schließen. Als er aber eine Woche später ins Zimmer kam, waren neue Risse in den Wänden aufgesprungen; ja die Spachtelmasse selber war fein jedoch deutlich gerissen. Das Knistern im Raum trieb ihn zur Eile weitere Spachtelmasse zu kaufen,obwohl es sein letztes Geld war, das er dafür geben mußte. Der Mann schloss erneut alle Risse und Ritzen im Zimmer. Doch das Ergebnis war wieder das gleiche. Und wieder und wieder spachtelte er. Das Krachen der Wände bedrohte sein schweres Herz. Sie borgten sich Geld, um mehr Spachtelmasse kaufen zu können und er setzte sein Werk fort.
Die Polizei, die Monate später die Wohnung über ein Fenster erstieg, fand zwei abgemagerte Tote am Boden liegen. Und alle Ecken und Wandanschlüsse waren mit breiten Schrägen verspachtelt. Sogar die Tür war kaum noch zu sehen. Das arme Paar hatte sein ganzes Geld zum Baumarkt getragen und war kümmerlich verschmachtet. 

→ Überall sind Ritzen und Löcher und haben kein Ende!

Lust und Last arbeiten gemeinsam gegen den Versagenswiderstand des Dübels.

Gezeigt wird ein Gebäudequerschnitt mit zwei Ebenen. Die Legende vom "Schwert des Damokles" wird übertragen: ein Lampenhaken in einem Dübel mit definiertem Versagenswiderstand übernimmt die Schwachstelle, ein anhängender Betonklotz mit den Abdrücken der umgebenden Möbel verursacht Last und eine Luftgitarristin darüber erschüttert die Decke.
→ Last und Lust lockern gemeinsam das Feste. 

Hintergrund

I
"Damokles war ein Höfling des jüngeren- wohl auch schon des älteren Dionysios von Syrakus (4.Jh. v. Chr.). Dionysios ließ ihn unter einem Schwert, das an einem Pferdehaar hing, alle Genüsse seiner fürstlichen Tafel kosten. Daher wurde das Damoklesschwert sprichwörtlich für die im Glück stets drohende Gefahr.“  Brockhaus Lexikon dtv 1982

II
Die für Lampen bestimmte Tragkraft des Dübels in der Stuckrosette wird dramatisch überzogen. Jeder Moment ist voller Ungewissheit über den tatsächlichen Halt jenseits der Berechnungen. Der Auftritt der Luftgitarristin ist ebenso unwirklich wie der am Lampenhaken schwankende Betonklotz.
Der Beton bildet Möbeloberflächen ab, als wären die Wände dicht an den letzten Ruhepunkt herangerückt: die ganze Last des Wohnens konzentriert sich wahnhaft über dem Sessel. So fühlt sich einer als Zentrum der allseits drängenden Bedrohung durch das, was ihm angehört und zugleich abtrennt von draußen.
Die schöne Luftgitarristin ist eine außergewöhnliche Verlockung. Der Lust nachzugeben bedroht das Feststehende auf eine andere Weise.

„Damoklesdübel“ handelt vom Verdacht der Unsicherheit im alltäglichen Refugium, vom Zweifel am Zuhause. Das Haus als unbehauster Ort. Das Haus als täglicher Auftrittsort des Misstrauens in das Gehäuse. Gründe geben nach, Putze lösen sich ab und auf, Wände zerfallen. Aus Ritzen dringen der Pilz, der Dunst, das Salz, die sieben Plagen. Die Risse im guten Gewissen der Statik vertreiben die Ruhe. Die Unruhe wird zum Beweis, daß etwas nicht stimmt, daß die Ruhe im Zuhause nur eine Täuschung sein kann. Je geschlossener die Oberflächen sind, um so stärker schwillt der Verdacht auf ein verborgenes Eigenleben. Ein Überlebenskampf gegen die schützende Höhle beginnt. Eine Obsession mit ungewissem Ausgang. Eine Obsession mit endlos wiederholter Ungewissheit. Als wäre das Innen ein vorgestelltes Außen, als könnte man nach getaner Arbeit in einem weiteren Innenruhen, einem kommenden, ewigen Zuhause mit der Glorie des endlichen Sieges.
Aber: → Siege lassen neue Bedrohung entstehen.

III
Die Beobachtung verändert den Beobachter. Der Mensch in diesem Zimmer will mit Lust und Last rütteln, will selbst mit am Dübel rütteln – indem er seine Vorkehrungen trifft. Er will sich endlich gegenüber stehen und erschafft dazu eine Gefahrenwelt, um sich nicht in der realen Welt hinnehmen zu müssen. Es ist eine Wahnvorstellung. Das Wesenlose der Bedrohung steht in direktem Zusammenhang mit der Not, daran festhalten zu müssen. (Man kann oft nicht sagen, was Schlimmer ist: einen Gedanken zu haben oder an ihm festzuhalten.) Das Festhalten an der Frage behindert die Antwort. Der vom Wahn Geplagte ist immer eine Schrecksekunde voraus. Und die kann manchmal lang sein.
Ruhen muß der Getriebene endlich doch – da bleibt ihm aber nur das Hinsinken an den Feind als finale Entspannung. „Wenigstens ein Bett überm Kopf“, denkt dieser Mensch zuletzt und wirft seinem Zimmer die Möbel zum Fraß vor.

Die Stiefel der Luftgitarristin

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