Wenn heute in Europa an den Islam gedacht wird, bestimmt terroristische Gewalt die Vorstellungen und nicht wie früher die Kultur und Kunst. Wenn sich aber der europäische Blick auf den Islam geändert hat, müßten auch die Museen ihre Sammlungen um aktuelle Bezüge erweitern.
In den hiesigen Museen befinden sich Sammlungen von Gegenständen aus islamisch geprägten Ländern, oft schon vor Jahrhunderten angelegt. Die Stücke dokumentieren zwar Herkunft, Handwerk, Formensprache usw. aber auch unsere vergangenen europäischen Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich einer anderen Welt. Denn diese haben die Auswahl bestimmt und u.a. einen repräsentativen Schwerpunkt auf die Ornamentik gelegt. Was unser Interesse fand, ist nur Teil einer darüber hinaus nicht mittransportierten Wirklichkeit, die, gerade weil abwesend, als "magische Ferne" die Sammlungsstücke mit unbestimmter Exotik auflud.
Die letzten Dezennien veränderten den europäischen Blick auf den Islam erheblich. Die Exotik ist verflogen. Man kann heute nicht mehr die Kunstwerke eines fremden Gestaltungssystems davon losgelöst betrachten, daß sich die religiös-kulturelle Bedingtheit ihrer Entstehung (Bilderverbot) über Attentate versucht zu artikulieren. Es ist auch unmöglich geworden, sich die fremden Daseinsbedingungen fern weg zu halten oder zu separieren, was von dort hier "paßt". Muslime leben nebenan. Die Artefakte in den Museen sind Fragmente islamischer Kultur und werden nun durch das Leben der Immigranten vervollständigt.
Es geht bei dem Projekt "Koffer von Köln" um den europäischen Blick auf den Islam und um die geänderte Wahrnehmung des Fremden, die uns verändert; nicht um den Islam selbst.
Projektausführung: Eine Vase aus dem 9.Jh., gefunden im Irak, machte dem Bombenkoffer des versuchten Anschlages von Köln in ihrer Vitrine Platz.
Hintergrund
I
„Die Schrift mit dem „unerschaffenen“ Wort Gottes, das Mohammed im Koran offenbart worden war, ließ den Bildern keinen Platz im religiösen Raum.“ 1 Doch gibt es im Koran kein Bilderverbot. Im 7.Jh. waren in der Kaaba sogar noch Skulpturen aufgestellt, bis Mohammed sie ausräumte.2 Erst in der Überlieferungsliteratur des Hadit, abgeschlossen in der Mitte des 8. Jh., finden sich schriftliche Belege.3 Mit diesen als Argumentationsgrundlage trifft die islamische Jurisprudenz seitdem rechtsverbindliche Aussagen zu bildlichen Darstellungen, z.T. mit graduellen Unterschieden zwischen skulpturalen und flächigen Ausführungen.
Die Verbote beziehen sich in erster Linie auf die Darstellung von Lebewesen. Obwohl in sakralem Bezug Bilder durch Schrift oder Zeichen ersetzt worden sind, kann von einem absoluten Bilderverbot in der islamischen Geschichte nicht die Rede sein, wie Beispiele der islamischen Kunst aus allen Jahrhunderten zeigen oder schlicht die Wohnzimmer von Muslimen heute, in denen Bilder an der Wand hängen und Fernseher laufen. Die muslimische Gemeinschaft ist zudem nicht so geschlossen, wie man in Europa annimmt. Selbst innerhalb der verschiedenen Hauptströmungen existieren nebeneinander unterschiedliche Rechtsschulen, auch mystische und rationale.
Im 18. Jh. kritisierte der salafistische Religionsgelehrte Wahab u.a. die Kunst als gefährlich und gotteslästerlich und legte mit seiner Lehre erfolgreich den Grund für heutige radikale und auch Europa-feindliche Koran-Auslegungen. An diesen orientieren sich u.a. jene, die mit Anschlägen für eine Wiederkehr des 7.Jh. kämpfen- wie sie es sich vorstellen. Sie bedrohen zugleich Muslime, die diese Radikalisierung nicht teilen wollen.4
Das Bilderverbot gründet auf dem verbreiteten Glaube an die Identität eines Bildes mit dem Abgebildeten; eine schon vor-islamische Tradition, die bereits in der Antike eine Kulturgrenze markierte, die dort noch heute verläuft. Es gilt als Privileg Gottes, Leben zu schaffen. Da Bild und Abgebildetes gleichgesetzt werden, ist das menschliche Abbild Gotteslästerung.5 Passend dazu ist der islamische Gott stets unsichtbar geblieben, während der jüdische Gott durch Christus ein Gesicht bekam. 6 „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Joh. 14, 9. Und in Kol 1,15 steht: "Er (Jesus) ist das Bild des unsichtbaren Gottes." Ikonoklastische Bestrebungen gab es auch im Christentum, v.a. in den byzantinischen ländlichen Regionen- nahe jenem Kulturraum, in dem auch das islamische Bilderverbot entstand.7
Für die Bilderfeinde gibt es nur zwei Verhältnisse zwischen den Dingen, Gleichsein oder Anderssein, während für die Bilderfreunde eine Teilhaftigkeit des Einen am Anderen möglich ist, auch wenn eine wesenhafte Identität nicht besteht. Diese Ansichten zum Bild korrelieren mit entsprechenden Religionsauffassungen.8 Verbindet sich die polarisierende Grundhaltung des Ikonoklasmus mit fundamentalistischen Religionsauslegungen, wird den davon Abweichenden unterstellt, mit Bildern gegen „grundlegende Gesetze“ zu verstoßen. Andere Traditionen akzeptieren diese radikalen Kläger nicht. Und so wurden die weltweiten Proteste gegen zwölf Mohammed- Karikaturen, veröffentlicht am 30.9.2005 in der dänischen Tageszeitung „Jyllands-Posten“, neben der der Herabsetzung des Propheten (Darstellung Mohammeds als Terrorist) mit der Verletzung des islamischen Bilderverbotes begründet. Weltweit reklamierten Muslime ganz selbstverständlich dessen Gültigkeit für Dänemark.
II
Seit den Kreuzzügen bis zur Belagerung von Wien 1683 lieferte der Islam Europa ein Feindbild. Im 18. Jh. kam es im Zuge allgemeiner exotischer Entdeckungen der Welt zu einer Umorientierung und es wurde mit der systematischen Sammlung und Erforschung von Dingen und Überlieferungen aus islamisch geprägten Kulturen ein alternatives und positives Gesellschaftsbild vermittelt. Gerade die Hinwendung zu Ornamentik und Kalligraphie wurde und wird als repräsentativ geschätzt. Den Objekten haftete immer etwas Kostbares an. Von den Regeln des islamischen Alltagslebens hatte man aber eher allgemeine Vorstellungen. Der z.B. im Bilderverbot liegende Vorwurf an andere Bildauffassungen, mußte nicht als Konflikt thematisiert werden und tiefgreifende Wertedifferenzen konnten ungelöst bleiben, da nur selten so viel Kontakt bestand, daß eine Einigung nötig war. In die Sammlungen wurde aufgenommen, was die eigenen Vorstellungen illustrierte und durch die Betonung des Fremden die Distanz bestmöglich bewahrt bleiben ließ. Persische Briefe, Zauberflöte, Lawrence von Arabien, Kara Ben Nemsi- man konnte sich ein Bild machen und dabei die Realität vom Leib halten.
Das Bild von Europa hat in den Vorstellungen davon entfernt lebender Menschen ebenfalls eine Geschichte durchlaufen. Häufig beginnt sie mit der Zerstörung ihrer eigene Kultur. Das aktuelle Bild wird uneindeutig sein und ist offenbar nun auch aufgeladen von Wünschen. Wir kennen es nicht so gut, daß wir es verstehen könnten. Das Fernsehen lügt sicher nicht schlechter als die Missionare der Kolonialzeit.
Wie die Europäer im 16. und 17. Jh. lossegelten auf der Suche nach einer neuen Welt (um sie dann zu zerstören) kommen heute die Menschen aus eben dieser Ferne nach Europa in zu kleinen Booten; auch sie geleitet von Illusionen über ihre Ziele.
III
Um sich bedroht zu fühlen muß man bereit sein; muß dem Drohenden die Macht zugestehe.9 Das neue Bedrohungsgefühl verbindet sich hier mit einem diffusen Gefühlserbe von zweitausend Jahren Orient-Okzident-Konflikt. Es kommt Einem vor, als warteten alle auf längst vergebene Stichworte; als wären alle „Schläferzellen“. Es gibt heute z.B. Menschen, die die Aufnahme der Flüchtlinge 2015 in Deutschland als Ausgleich der Schuld an den Kreuzzügen formulieren.
Die Aufhebung der eigenen Distanzsicherheit fordert zu einer Beschäftigung mit den Hintergründen heraus. Die Anmerkungen zum Ikonoklasmus, zum Verhältnis Bild und Abbild, waren ausführlich, weil das Thema zeigt, wie viele Jahrtausende diese unlösbaren Differenzen schon konstant in denselben Kulturräumen fortbestehen und wie zentral sie sind für die individuelle Wahrnehmung einer Ordnung, die keine andere zulassen kann. Es scheint, als ob solche nebensächlichen Fragen die Hauptursachen dieser Konflikte sind. Wie ist die Welt im Kopf zusammengebaut?
Eine Form muß her, die der inhaltlichen Reflektion vorausgeht, denn zu dieser sind nur wenige bereit. Annäherung würde dann bedeuten, die Verdrängung nicht-konformer Inhalte aufzugeben und die Deckung der Ansichten nicht länger zur Bedingung zu machen. Das simultane Nebeneinander der Inhalte muß schlicht akzeptiert werden. Letztlich sind sie doch komplementäre Grundverhältnisse, die nur bei gemeinsamer Anwendung einem Gegenstand gerecht werden können.10
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1 Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. München 2005, S. 146
2 Der im Jahr 736 verstorbene mekkanische Gelehrte 'Ata' ibn Abi Rabah hatte diese noch selber gesehen: die Figuren Jesu und Marias sind erst im Jahre 692, während des Brandes der Ka'ba unter dem „Gegenkalifen" Abdallah ibn az-Zubair, vernichtet worden. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. 9. S. 889; nach der Stadtgeschichte Mekkas von al-Azraqī (gest. 865)
3 Die Hadit- Literatur umfaßt die Überlieferungen von Aussagen Mohammeds (Anweisungen, Herausstellen nachahmenswerter Handlungen, Empfehlungen usw.), die im Koran nicht enthalten sind, wie z.B. dieser: „Von demjenigen, der ein Bild macht, wird am Tag der Auferstehung verlangt werden, daß er ihm Lebensodem einhaucht. Das wird er aber nicht tun können.“ Zit. aus: Rudi Paret: Die Entstehung des islamischen Bilderverbots. In: Kunst des Orients, XI 1/2 (1976-1977), S. 162. Franz Steiner Verlag. Wiesbaden
4 Radikale Islamisten bestrafen die Abtrünnigkeit vom „wahren Glauben“ mit dem Tod und legen die Maßstäbe selbst fest. Sie machen zu Nichtgläubigen, wen sie wollen. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Takfirismus: Nur weil jemand ein Glaubensbekenntnis abgelegt habe, sei er noch kein wahrer Gläubiger („Takfir“). Diese Ansichten wurden im 13.Jh von Ibn Taimijah formuliert und im 20. Jh. wieder aufgenommen. Auch Muslime können so für ungläubig erklärt und praktisch exkommuniziert werden. Takfirismus machte die Besetzung der großen Moschee in Mekka 1979 möglich (nach inoffiziellen Berichten 4000 Tote) und entschuldigte die unbeteiligten Opfer bei Anschlägen von al Quaida. Denn war der Getötete gut, kam er ins Paradies. Und war er schlecht, kam er in die Hölle und man war ihn los. Wo ist das Problem?
5 Wobei die Anerkennung des Lebendigen sich magisch am Blick festmacht- bei Bildzerstörungen reicht es den Kopf abzutrennen um einem Bild „das Leben zu nehmen“. Belting, S. 150
6 Belting, S. 145
7 In Bruchstück 2 der inkonoklastischen Schrift von Konstantin V. „Gegen die Verehrung der Bilder Christi“ wird z.B. auch postuliert, daß ein „wahres Bild“ mit dem Gegenstand, den es darstellt, wesensgleich zu sein hat. Zitiert nach Antirrhetici II des Nikephoros in: G. Ostrogorsky: Studien zur Geschichte des byzantinischen Bilderstreites, Breslau 1929, S. 41
8 Die Bilderfeinde neigen zur Betonung einer göttlichen Einheit, während die Bilderfreunde eine hypostatische Verschiedenheit bei zugleich wesenhafter Einheit (z.B. die Dreieinigkeit) in ihren Ansichten integrieren können.
9 Es sei in dem Zusammenhang an die Berichterstattung um die Absetzung der Premiere der Mozart-Oper „Idomeneo“ am 26.9.2006 in Berlin erinnert, die deutlich die Produktion von Angst noch vor einer Bedrohung dokumentiert.
10 „Das … Prinzip der Komplementarität ist eine Form, mit dem Widerspruch subtil umzugehen: Man führt zur Betrachtung der Welt simultan zwei komplementäre Blickwinkel ein, von denen sich jeder unzweideutig in einer klar verständlichen Sprache ausdrücken läßt und die beide, voneinander getrennt, falsch sin. Ihre gemeinsame Präsenz schafft eine neue, für die Vernunft unbehagliche Situation. Aber nur mit diesem konzeptionellen Unbehagen wird es uns gelingen, zu einer korrekten Darstellung der Welt zu gelangen.“ Michel Houellebecq: Die schöpferische Absurdität in: Die Welt als Supermarkt, Hamburg 2001, S. 35
Literaturhinweise:
- Hans Belting: Das echte Bild, München 2005
- Romuald Kamarkar: Hamburger Lektionen, FAZ 16.9.2007
- G. Ostrogorsky: Studien zur Geschichte des byzantinischen Bilderstreites, Breslau 1929
- p.V.: Der Koran, Leipzig 1980
- Rudi Paret: Die Entstehung des islamischen Bilderverbotes in: Kunst des Orients. XI 1/2, Wiesbaden 1976
- Claus Leggwie: Blasphemie muss sein in: FAZ 13.2.09
- Volker Zastrow: Die Christenverfolgung in: FAZ 13.4.08
- Ralph Giordano: Nicht die Muslime, der Islam ist das Problem in: FAZ 12.8.2007
- han/dpa/ddp/AFP: Wir wollen Furcht einflößen in: Spiegel Online 8.11.2006
- ddp, ptn. / pca. / Mü. / Frankfurter Allgemeine Zeitung: Kofferbomben von Terroristen gelegt in: FAZ net, 9.1.2009
- Alfred Hackensberger: Lexikon der Islam-Irrtümer, Frankfurt 2008
- Lawrence Wright: Der Tod wird euch finden, München 2007