Gespräch über Zwangsräumung zwischen Obergerichtsvollzieher Thomas Lux und Peter Bux in Leipzig am 11.12.2007
Auszüge nach Tonprotokoll
Bux: Mein Interesse gilt dem instabilen Moment in der Begegnung zwischen Ihnen und dem Räumschuldner. Ich hab das Gefühl, es fließt von einer Seite die lineare Behördenzeit, getaktet mit Fristen und Terminen, und auf der anderen Seite wölbt sich eine auf Dehnung orientierte Betroffenenzeit auf, wie eine riesige Teppichfalte, die mit ihrer Verformung das Problem außer Sicht bringt. Da werden noch frische Erdbeeren abgewaschen und draußen steht schon der Spediteur…
Lux: Hm.
Bux: …und auf einmal wird diese Zeitfalte stramm gezogen. Und im Blickfeld stehen Sie! Und Sie sind dann der Repräsentant dieses hereinbrechenden Ereignisses.
Lux: Hm.
Bux: Ich hab das Gefühl, daß die linear begründete Behördenzeit auf einmal diese aufgewölbte Vermeidungszeit durchstößt. Und dann ist das ein sehr plötzlicher Moment des Illusionsentzuges. Also Entzug der Illusion, es könnte plötzlich noch irgend etwas passieren, was das lineare Wirken unmöglich macht.
Lux: Etwas Irrationales.
Bux: Ich halte das aber in seiner Offenheit zugleich für einen poetischen Moment. Es kann ja alles passieren. Er kann Ihnen die Hand geben, er kann aus dem Fenster springen, er kann zusammenhanglose und absurde Handlungen begehen. Der Räumschuldner hat sich diese Verdrängung als Schutz vor dem Termin gebaut. Die entziehen Sie ihm. Er muß nun eine Möglichkeit erfinden, die ihn diese Schutzlosigkeit ersetzen lassen kann. Auf den Moment des Qualitätsumschlages zu fokussieren ist natürlich ein künstlerisches Herangehen, das wie immer wirklichkeitsbeugend ist. In dem Gespräch, das ich mit Ihnen suche, geht es darum, den Realitätsbezug zu dieser künstlerisch begrenzten, gezielt begrenzten, Formulierung beizugeben.
Lux: Hm.
Bux: Das Projekt ist erstmal die öffentliche Inszenierung. Die Gegend war wirklich möglich für so eine Situation. Und es ist ein realer Umzug, den ich umgebaut habe. Die Burgzinnen hier oben, das sind Sachen, die ich habe packen lassen als „die letzten Dinge“. Man hat ja früher auf der Burgmauer auch oft Heiligenbilder zum Schutz aufgestellt. Hier unten steckt ein Kartoffelgewehr in der Scharte- selbstgebaute Verteidigung aus Abflußrohren, das funktioniert mit Haarspray und Zündkerze, ist sogar durchschlagkräftig. Der Tigerteppich ist natürlich auch ein besonderes Bildmoment. Ein aggressiv erscheinender Teppich! Alles ist Illusion und Überbewertung. Hier Wäscheständer und Bügelbrett als Vorwerke- alles ausgesucht dummes Zeug. Die Geschichte dazu ist, daß jemand vertrieben wird – z.B. durch Hartz IV: die Behörde entscheidet, die Wohnung ist zu groß...
Lux: Egal aus welchen Gründen.
Bux: … einfach jemand, der gezwungen wird, sein Zuhause aufzugeben und der versucht, im letzten Moment seine Ehre zu retten durch eine Art Revolte. Es tut etwas Absurdes, aber in diesem offenen Moment entdeckte er eben auch seine revolutionären Empathien und baut sich dort eine Burg. Er trägt das Zeug runter, er ist dazu gezwungen, aber er möchte ja eigentlich nicht, und das will er noch mal zeigen, daß er eigentlich nicht möchte. Und das ist eine Donquichotterie, eine Groteske. Aber sie ist eben seiner Hilflosigkeit in der Situation angemessen. Die Burganlage steht allgemein für den Versuch einer Strukturrückgewinnung. Eine Barrikade wäre zu chaotisch. …
Lux: Solche Verteidigungen scheinen doch viele Klienten in der Tat aufzubauen. Denn es fällt einem bei Einzelnen auf, daß die Wohnungen streckenweise so festungsähnlich sind. Ich hatte mal eine Räumung ´95/´96 in Grünau. Das war ein Ingenieur, der vollkommen durchgeknallt war. Der also zur Patentanmeldung auf den Gleisen bis nach München lief, weil dort das Deutsche Patentamt saß. Die ganze Wohnung war vollgeschrieben mit seinen Gedanken. Also: jedes kleine Stückchen Fläche, sei es Tapete, Schrank, Tisch oder Decke. So eine Art Wandmalerei in kleinster, aber gut lesbarer, akademischer Schrift.
Bux: Das waren technische Texte?
Lux: Technische Texte, ja. Die sich dann irgendwann mal ein bißchen gedreht haben. So, als er dann in die Geschichte kam, daß er uns drohte, schriftlich. Die Texte an uns waren vorzüglichst, das waren kleine Kunstwerke, die allerdings in den Akten dann verblieben sind und irgendwann vernichtet wurden. So ein Briefumschlag war einfach schon gestalterisch ideal. Meine Adresse war deutlich hervorgehoben und dann war mir in wiederkehrenden- vielleicht 15 Farben- mitgeteilt worden, in einer gewissen ... – ich habe festgestellt, daß es für ihn eine Art Hierarchie gab zwischen den Farben. Erst dachte ich, ihm sind die Stifte ausgegangen und er hat halt mit Rot angefangen und dann mit Grün fortgesetzt. Nein, nein. Und da wurde er dann, zwar immer noch in so fürchterlichem Ingenieursdeutsch, leicht prosaisch. Jedenfalls, als wir die Wohnung dann stürmen wollten, war das die reinste Festung. Das Schloß der Tür hatte einen Ziehschutz und ließ sich nur mit einem Magnetschlüssel öffnen; 400 Mark, von ABUS, eine gigantische Summe damals. Da kamen wir also nicht rein. Wir haben dann versucht den Schwachpunkt jeder Tür, die Scharniere, raus zu hebeln. Und in dem Augenblick lösten wir einen Mechanismus aus. Und dann hatte er oben zugeschnittene Holzbohlen, ich vermute Eiche, in ausreichender Anzahl geparkt, und als sich dieser Mechanismus öffnete, rutschten die in einer Art Fassung runter und bildeten aus diesen Bohlen wieder eine neue Tür. Also wir waren zu Tode erschrocken. Als die Dinger runter ...
Bux: Ist ja unglaublich!
Lux: Ja. Und als wir dann mittels der ...
Bux: „Dem Ingenieur ist nichts zu schweur.“
Lux: Der hatte sich auf den Tag vorbereitet.
Bux: „Tag X“
Lux: „Tag X“, ja. Er hatte sich aber auch wirklich monatelang… statt die Energie in die Lösung seiner Probleme zu setzen oder mal Miete zu zahlen… der hatte ja vorher schon das Haus unter Wasser gesetzt. Der hatte uns dann sogar einen Wegweiser in die Wohnung gebaut- aber ich wollte bloß berichten: wir haben uns dann mit einer Motorsäge Zugang verschafft. Da flatterten uns auf einmal so mittels Federungen schwingende Messer entgegen. Also, die flatterten dann so rum und sollten dann wahrscheinlich auch jeden… – also eine akute Bedrohung. Für den Fall der Fälle hatte er mit seinem Ingenieurswissen sämtliche Kräfte investiert, um uns dort auch wirklich aufzuhalten. Das ging dann so weit, daß wir dann ein geöffnetes Fenster… - also: wir hätten über das Fenster rein gekonnt, aber gut, 3.Etage, da denken sie im ersten Augenblick nicht dran. Und als wir es dann gemerkt haben...
Bux: Das war ein Mietshaus?
Lux: Das war ein Mietshaus, in Lindenau, Mansfelder Weg. - Aber das steigerte sich dermaßen, daß der sich selber so eine Art Schrein gebastelt hatte. Wir haben nie wieder was von dem Mann gehört. Ich vermute, daß er dann geflohen ist, sich auch aufgegeben hat und irgendwo im Wald verhungert, verdurstet, gestorben ist. So selten ist das nicht, daß Verirrte irgendwo im Wald dann versuchen, sich aufrecht zu halten. Aber durch die knappen Nahrungsreserven, das schaffen die den Sommer, vielleicht noch Anfang Herbst, aber dann gehen die vor die Hunde. Wir schätzen ja, im Auenwald leben bis zu 20 Leute. Heute noch. Ehemalige Obdachlose, die dann wirklich Einsiedler sind.
Bux: Interessant war mir jetzt, daß Sie sagten, dieser Ingenieur setzte die Energie nicht in die Lösung seines Problems, sondern in die Verteidigung.
Lux: Ja. Das ist ein fehlgeleiteter Mechanismus. Der ist aber schon streckenweise auch einer, ich sag’s mal deutlich, der Behördenwillkür. Also wenn ich in meinem Beruf als Gerichtsvollzieher nur auf Konfrontation und nur auf die Durchsetzung der mir aufgetragenen Arbeit pochen würde, hätte ich nur solche Eskalationsmaßnahmen. Und wir machten Druck damals. … Ich würde heute anders rangehen an den Mann. Ich würde heute mehr Möglichkeiten der Gesprächsführung suchen und mich wahrscheinlich bundesweit nach einem Experten umsehen. Weil: das war bestimmt eine ausgeprägte Psychose, die er natürlich gepflegt hat, aber die auch von uns gepflegt wurde. Also: das war natürlich der Fehler. Man darf so eine Psychose auch nicht pflegen.
Bux: Es gibt ja im Festungsbau auch immer einen Dialog. Man hat einen Dialog ...
Lux: Richtig.
Bux: ... mit dem Feind. Früher galten Türme als sicher und mit Aufkommen der Feuerwaffen werden die Befestigungen flach, entsprechend dem ballistischen Winkel. Das Verhältnis zwischen Verteidiger und Belagerer, das ist der in die Architektur einfließende Dialog mit dem Feind. Mich würde noch interessieren, was das für ein Patent war. Wissen Sie das?
Lux: Der hatte mehrere. Aber das ist mir nicht bekannt. Nein. Klaus M. hieß der, das weiß ich noch. Was der Mann machte, keine Ahnung. Also der müßte rein theoretisch, wenn er noch lebt…. - aber er wird nicht mehr leben.
…